Beziehungen im Alter (7): Zusammen in eine kleinere Wohnung umziehen

«Was werde ich in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren noch brauchen?

Monika Stöckli (64) und Martin Tschümperlin (66) haben reduziert, aufgeräumt und sind in eine kleinere Altbauwohnung umgezogen.

Von Ueli Hunkeler (Text und Bilder)

Wir treffen uns in der neu bezogenen Wohnung im Geissenstein-Quartier. Draussen scheint die Frühlingssonne, in den Gärten ums Haus spriesst es und die Stube ist lichtdurchflutet. Die Dreizimmerwohnung wirkt gemütlich und geschmackvoll eingerichtet. Der Blick, der mir in den selbst eingebauten Schrank im Schlafzimmer gewährt wird, zeigt, hier gibt es noch viel freien Platz! «Man hat immer zu viel!», sagt Monika. Und Martin erklärt: «Ich habe meine Kleider um die Hälfte reduziert.»

Gemeinsam in eine kleinere Wohnung ziehen

Monika (1955) und Martin (1953) kennen sich schon mehr als dreissig Jahre, seit 13 Jahren leben sie in einer Partnerschaft. Für beide ist es nicht die erste Beziehung. Monika war 25 Jahre verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Auch Martin hat zwei Kinder und ist Grossvater von zwei Mädchen seiner älteren Tochter. Vor sechs Jahren ist Monika in die Vier-Zimmerwohnung von Martin eingezogen. Hier gab es viel Bewegungsfreiheit, einen schönen grossen Garten, in dem sogar ein Hühnerhof und die von Martin selbstgebaute Jurte Platz hatten, ein idealer Spielraum für die Grosskinder, welche Martin oft betreut. Trotzdem reifte schon länger die Idee, gemeinsam in eine kleinere Wohnung zu ziehen. «Zusammen etwas Neues machen und sich gleichzeitig von vielen angesammelten Dingen trennen», war dabei für beide ein wichtiger Beweggrund.

Martin, der immer schon viele Projekte hatte, liess sich mit 61 Jahren frühzeitig pensionieren. Den Sommer verbringt er schon seit einiger Zeit jeweils auf einer Alp im Entlebuch mit Mutterkühen, Rindern, Ziegen, Schweinen und Hühnern. In den letzten Jahren arbeitete Monika regelmässig mit und übernahm die Käseproduktion. Der schmackhafte, in Öl eingelegte Ziegenkäse und die würzigen Alpenmutschli, die sie jeweils ins Tal bringen, sind bei Freunden und Bekannten sehr beliebt.

Aufräumen, ausmisten, einrichten
Als die beiden im letzten Frühling, kurz vor dem Alpaufzug, erfuhren, dass im gleichen Quartier und ganz in der Nähe eine kleinere Altwohnung frei werde, bewarben sie sich bei der Genossenschaft. Mitten im Alpsommer erfuhren sie dann, dass sie die neue Wohnung im Oktober beziehen könnten. Sie sagten zu und begannen noch in den Bergen den Umzug zu planen. Ein schon lange gehegter Wunsch, sich räumlich und materiell reduzieren zu wollen und das erste Mal gemeinsam eine Wohnung beziehen zu können, ging in Erfüllung. Klar war ihnen von Anfang an, dass sie nicht alles mitnehmen würden. Die neue Drei-Zimmer Wohnung würde hinsichtlich des Hausrates und der Wohnungseinrichtung Änderungen erfordern. Der Gedanke an den nahen Umzug beflügelte sie, führte aber auch zu einigen schlaflosen Nächten.

Nach dem Alpabzug und den wohlverdienten Ferien, leisten sie sich während zweier Monate beide Wohnungen und nehmen sich viel Zeit zum Aufräumen, Ausmisten, Reduzieren, Ordnen und Einrichten. Sie veranstalten einen Gratis-Flohmarkt in der Wohnung für Freunde, Bekannte und Nachbarn. Bei Kuchen und Kaffee werden sie einen grossen Teil ihrer Ware los. Einiges können die Kinder gebrauchen, Vieles wird verschenkt. Besondere Stücke werden auf Websites wie «tutti.ch» ausgeschrieben. Das Eine oder Andere kann verkauft werden, aber die dabei erzielten Preise sind eher symbolischer Natur. Selbst Brockenhäuser sind wählerisch geworden und nehmen nur noch, was gefragt ist. Immerhin: Ihre Jurte, die sie während Jahren jeweils im Winter zur Freude vieler Freunde auf dem Sonnenberg und später auch im Garten aufgebaut hatten, findet schliesslich neue Verwendung auf dem Schwarzenberg. Aber wohin mit den Hühnern? Im Sommer sind sie ja auf der Alp, aber in einem Stadtquartier? Vorläufig leben sie in einem Provisorium bei toleranten Nachbarn.

Beim Aussortieren, Trennen und Loslassen ist ein Gedanke für Monika sehr hilfreich: «Was werde ich in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren noch brauchen? Welche Menge an gesammeltem Tuchstoff, teilweise noch aus Mutters Erbe, werde ich noch verarbeiten»? In die neue Wohnung kommen nur ausgesuchte Dinge. Martin baut neue Schränke und Tablare ein. Mit viel Geschmack sorgt Monika für eine sparsame, aber stilvolle Ausstattung. Dazwischen bleibt aber auch Freiraum, freier Raum. Es geht um einen neuen, gemeinsamen Anfang, das spürt man.

Hausarbeiten neu aufgeteilt
«Hatte dieses Aufräumen, Reduzieren und Umziehen auch Auswirkungen auf die Beziehung?», frage ich. Die beiden schauen sich an: «Ja, schon!», meinen sie. Neu ist nämlich seit diesem Februar auch Monika pensioniert. Das habe Auswirkungen auf das Zusammenleben. Das Einrichten eines neuen Zuhauses war ein guter Anfang. «Wir sind mehr zusammen und häufiger gleichzeitig zu Hause. Die Hausarbeiten haben wir neu aufgeteilt. Abwechslungsweise kochen wir füreinander.» Beide haben aber auch wieder ein Arbeitszimmer für sich, Monika in der Wohnung, Martin in der zugemieteten Mansarde.

Bisher konnte Monika nur in ihren Ferien und an den Wochenenden auf der Alp sein. Das Auf und Ab zwischen Stadt und Alp empfand sie als anstrengend und herausfordernd. Sie fühlte sich manchmal gestresst, wenn sie an den Wochenenden oben war und gleichzeitig noch viele Gäste in der Hütte ein und aus gingen. Martin seinerseits schätzte auch die gelegentliche Einsamkeit auf der Alp. Das wird nun seltener der Fall sein. Im Mai 2019 beginnen die beiden den sechsten, diesmal während der ganzen Zeit gemeinsamen, Alpsommer. «Ich freue mich auf das einfache und arbeitsintensive Leben, das Käsen, das Kochen und Backen auf dem Holzherd, das Betreuen der anvertrauten Tiere, die Verbundenheit mit der Natur, auf Besuche wie auch auf ruhige Tage.», sagt Monika.

Das grosse Aufräumen befreit
Auch für die Zeit vor und nach dem Alpsommer gibt es Pläne, die abgesprochen sein wollen: Martin hat neue Projekte: So will er auf einem Frachtschiff den Rhein herunterfahren. Eine mehrtägige Wanderung mit seinen Freunden ist bereits terminiert. Daneben verbringt er weiterhin viel Zeit in seiner Schreinerwerkstatt, wo er Möbel baut oder umbaut, Dinge für die Alp renoviert und repariert. Als handwerklicher Allrounder packt er gerne Neues und Ungewohntes an. Derweil will Monika die nahe und ferne Welt besser kennenlernen. So plant sie nach dem Sommer auf der Alp eine Reise nach Südostasien, hat aber auch die Idee, einmal alle Schweizer Kantonshauptstädte «zu entdecken». Monika ist ebenfalls eine begabte Handwerkerin. Sie näht sich in der Regel ihre Kleider selbst. Nähmaschine und Schneiderbüste sind prominente Bestandteile in ihrem Arbeitszimmer.

Und gemeinsame Unternehmungen? Ja, natürlich. Vor dem Haus muss der noch brachliegende Garten neu bepflanzt und gestaltet werden. Als nächstes ist eine Wanderwoche am Bodensee auf dem Programm. Weiter haben Monika und Martin vereinbart, jede Woche einen fixierten Tag zusammen zu verbringen. Abwechslungsweise obliegt einem der beiden die Planung dieses Tages. Für den Partner ist es dann eine Überraschung, was unternommen wird. Beide sind überzeugt, dass es Gemeinsames und Privates braucht, um die Spannung in der Beziehung zu halten. Martin freut sich darauf, während Monikas Reisen wieder mal die Wohnung für sich allein zu geniessen. Und Monika ihrerseits kann sich vorstellen, auch auf der Alp einmal eine Auszeit zu nehmen, wenn gerade genügend Arbeitskräfte anwesend sind.

Monika und Martin haben beim Ausmisten nicht alles über Bord geworfen. Gemeinsames, wie etwa der Alpsommer, die zusammen geplanten Tage und Ausflüge, aber auch individuell wichtige Projekte und Reisen bleiben. Nach dem grossen Aufräumen wirken sie befreit und bereit für einen Neuanfang. – 22. April 2019

ueli.hunkeler@gmx.ch  

Die Personen:
Die ausgebildete Pflegefachfrau Monika Stöckli ist in Luzern aufgewachsen. Das grosse Interesse mit den Händen kreativ zu gestalten, sei es mit Stoff, im Garten oder in der Küche motivierte sie, die Bäuerinnen Schule in Willisau zu besuchen. Auf der Suche nach Alternativen zur Schulmedizin machte sie eine Ausbildung als Fussreflexzonen Therapeutin, führte eine eigene Praxis und war als Fusspflegerin in den Heimen Kriens tätig. Monika ist die Mutter eines Sohnes und einer Tochter. Sie freut sich darauf, bald Grossmutter zu werden. Mit der Pensionierung beginnt sie jetzt einen neuen Lebensabschnitt. Kontakte zur Familie, Angehörigen und dem Ex-Ehepartner sowie Freunden sind ihr wichtig.

Der Luzerner Martin Tschümperlin liess sich nach einer Erst-Lehre als Chemielaborant zum Sozialpädagogen ausbilden. Beruflich arbeitete er in verschiedenen Institutionen und Projekten: So im Jugendheim Utenberg, auf dem Schweizer Jugendschiff «Pirata» und für die Stiftung Rodtegg. Eine besondere Herausforderung war es, im Auftrag von Caritas Schweiz für schwierige und straffällige Jugendliche Time-out und Pflegplätze zu suchen und sie dort zu betreuen. Mit Monika verbindet Martin auch die Freude am handwerklichen Tun. Sein Interesse gilt aber auch der Berglandwirtschaft. Er liebt den Umgang mit Tieren und das Leben in freier Natur, wie es auf der Alp zu erfahren ist. Zu seinen Töchtern und den Grosskindern, die ihn auch dieses Jahr wieder auf dem Berg besuchen werden, pflegt er einen regen Kontakt.

Die bisher erschienen Artikel zur Serie «Beziehungen im Alter»

«Aufräumen" ist auch das Motto des diesjährigen Marktplatzes 60plus am Samstag, 11. Mai in der Luzerner Kornschütte. Das Programm 

Siehe auch Artikel von Hans Beat Achermann: «Frühlingsputz für die Seele»