Ein Bahnhof und vieles mehr
Von Hans Beat Achermann (Text) und Joseph Schmidiger (Bild)
Seine Initialen stehen immer noch im Firmennamen und der Internetadresse der Nachfolger: peba architekten ag: Peter Baumann. Sichtbar aber bleibt vor allem andern – und das ist vieles – ein Gebäude: Vor über 40 Jahren hat er den Wettbewerb für den Neubau des Luzerner Bahnhofs gewonnen, der 1991 eingeweiht wurde. Schon würde er korrigierend eingreifen: Nicht ich habe gewonnen und gebaut, sondern wir. Wir: Das sind die vielen Mitarbeitenden, die er für das Riesenprojekt jahrelang beschäftigt hat. „Ich bin und war immer ein Teamplayer“, sagt der renommierte Architekt. Was er nicht ausspricht: Im Gegensatz zu vielen andern Stararchitekten.
Ein folgenreicher Meisterkurs
Bevor wir mit dem 80-Jährigen auf sein langes berufliches und privates Leben zurückblicken, führt uns Peter Baumann durch seine geräumige Jugendstilwohnung, verbunden mit einer Warnung – geräumig wäre die Wohnung, wenn da nicht wären: Tausende von CDs, Bücher, Sammelobjekte, Zeitschriften und Zeitungsausschnitte, überall bequeme Sessel und Sofas, Designklassiker unaufgeregt eingebettet, die Wände bis fast auf jeden Quadratzentimeter behängt mit Kunst, vieles von Künstlerinnen und Künstlern aus dem Luzerner Freundeskreis. „Eigentlich sieht es in jedem Zimmer gleich aus“, stellt Baumann fest: Eben – Bilder, Bücher, Platten, CDs, Sitz- und Liegemöbel. Irgendwo mal ein Arbeitsplatz. Ein Yamaha-Flügel steht auch noch in einem der vielen Zimmer. Auch das wäre ein Einstieg mitten in die Biografie: An einem Klaviermeisterkurs mit Alexis Weissenberg in Engelberg hat er 1995 seine jetzige Frau Hanna Jud kennen gelernt. Beide waren als Zuhörende dabei, seither sind sie ein Paar, seit ein paar Jahren auch verheiratet, obwohl Hanna noch immer in Zürich wohnt und als Musikpädagogin arbeitet.
Mit dem Auto zur Kirche
Zurück ins Jahr 1938: Peter kommt am 4. März als Sohn des Surseer Kantonalbankverwalters Franz Baumann und dessen Frau Ida geborene Gmür auf die Welt, beide Eltern stammten aus sehr kinderreichen Familien, wenn auch aus verschiedenen sozialen Schichten. Der Vater war ein Bauernsohn aus Langnau bei Reiden, Peters Grossvater mütterlicherseits hatte in Luzern die Stammfirma der Sauer- und Wasserstoffwerke gegründet, die später zu PanGas wurde. Die Familie kam damit zu ansehnlichem Vermögen, woraus durch die Nachkommen noch heute bedeutende Investitionen getätigt werden können, „ein goldenes Ei“, wie Peter Baumann sagt. Doch davon später. Peter Baumann besuchte das Gymnasium, zuerst in Sursee, später dann in Luzern, am Hirschengraben mit Lateinmatura. „Ich bin sehr katholisch aufgewachsen, man ging gemeinsam zur Kirche, natürlich mit dem Auto. Als Schüler war ich eher brav und Durchschnitt“, erinnert er sich, auch wenn ihm ehemalige Mitschüler noch heute von weniger braven Seiten erzählen. Er schwärmte für französische Filme und Schauspielerinnen, war fasziniert von Marlon Brando, speziell seiner Rolle als Marcus Antonius im Film „Julius Cäsar“ von 1953. Und schon rezitiert er auf Englisch den Monolog des Mark Anthony bzw. Marlon Brando, die er auf Platte hörte und damals auswendig gelernt hatte.
Mit Le Corbusier in der „Sie+Er“
Die Berufswahl Architekt wurde unter anderem durch ein graphologisches Gutachten ermittelt, angeordnet vom Vater. „Ich hatte wenig Ahnung, worauf ich mich einliess.“ Mit 24 war er diplomierter ETH-Architekt, Schüler von Alfred Roth, Rino Tami und Werner Moser. Noch während des Studiums war ihm per Zufall Le Corbusier begegnet. In der Galerie Heidi Weber am Zürcher Neumarkt wechselte er ein paar Worte mit dem Berühmten. Bald darauf erschien in der Illustrierten „Sie+Er“ ein Foto: Peter Baumann gemeinsam mit Le Corbusier. Ein bisschen diebische Freude über diese Geschichte hält bis heute an. Wie Marcel Breuer und Richard Neutra gehörte Le Corbusier damals in den Sechzigern für viele junge Architekten zu den Vorbildern, so auch für Baumann.
Viele Wettbewerbe gewonnen
Nach einer ersten Stelle in Olten fuhr er 1963 mit einem Austin-Healey-Sportwagen nach Stockholm, arbeitete dort als Architekt und kam1964 mit der Schwedin Monica Nestler auf dem Beifahrersitz zurück in die Schweiz, seiner zukünftigen ersten Frau und Mutter der beiden gemeinsamen Töchter May-Britt und Anouk. Bereits die erste Wettbewerbsteilnahme zusammen mit Hans Peter Ammann war erfolgreich: Sie gewannen und konnten ein Schulhaus in Horw realisieren. Es folgten Dutzende von Bauten, die unter dem Firmennamen Ammann und Baumann entstanden, obwohl sie immer getrennte Büros hatten: Ammann in Zug und Baumann in Luzern. „Wir gewannen in diesen ersten Jahren jeden dritten Wettbewerb“, bilanziert Baumann – und ist immer noch stolz und erstaunt über den Erfolg: Schulhäuser, Altersheime, Spitäler. 1976 dann der Gewinn des Bahnhof-Wettbewerbs. Baumann war 38. Es folgten fast 20 Jahre Planung, Realisierung, Anpassungen bis zur Eröffnung 1991 und darüber hinaus. Für die ingenieurmässig anspruchsvolle Lösung der Vorhalle wurde Santiago Calatrava beigezogen, was nicht immer einfach war und immer noch nicht ist, weil viele Calatrava für den Erbauer des Luzerner Bahnhofs halten. Der Nichtraucher Peter Baumann holt einen Aschenbecher, darauf Souvenirbilder vom Bahnhofbrand. Nach dem Bahnhof-Neubau kam noch die angrenzende Gewerbeschule dazu, „eines der komplexesten Gebäude, das wir geplant und ausgeführt haben.“ Weitere bekannte Büro-Baumann-Bauten in Luzern sind die Seebrücke sowie die Psychiatrische Klinik. Seit den 80er Jahren gingen Ammann und Baumann getrennte Wege, auch wenn sie immer noch unter dem gemeinsamen Namen auftraten. Die juristische Trennung erfolgte erst über zehn Jahre später. 2007 übernahmen ehemalige Mitarbeiter die Aktien des Büros. 2006 erhielt er für sein Schaffen den städtischen Kunstpreis.
Gute Ruinen
Was fühlt der Erbauer, was sieht er, wenn er heute in und durch den Bahnhof geht? Pause. Es gibt zuerst Espresso und Linzertorte vom benachbarten Gänterli. Dann: „Ich habe immer noch Freude an unserem Bahnhof. Das Grundkonzept hat sich bewährt. Und mit dem Tibits im ersten Stock bin ich sehr glücklich. Weniger mit den Fast-Food-Läden und der Sushi-Bar im Sous-sol. Aber mit dem Alter wird man grosszügiger beim Urteilen“, lacht er. Doch kaum hat er’s gesagt, kommt Furor in seine sonst so sanfte Stimme. Die Rede ist von den neuen Architekturtempeln und den Hypes darum herum. „Natürlich ist die Grundidee der Elbphilharmonie bestechend. Aber dieser exorbitante Perfektionismus, der alles so verteuert hat, das stösst mich ab.“ Auch mit Frank Gehrys Guggenheim-Museum in Bilbao kann er wenig anfangen. Was ist für ihn gute Architektur? Peter Baumann antwortet mit einer Anekdote: Jemand habe gesagt: „Gute Architektur macht gute Ruinen.“. Und dann gibt er doch ein Beispiel: Die mehrere Kilometer lange Highline in New York, die begehbare ehemalige Hochbahn-Trassee mitten in Manhattan. Bald wird er wieder dort sein: Seine Frau hat ihm zum Achtzigsten eine Transatlantik-Schiffsreise mit der Queen Mary II von Hamburg nach Amerika geschenkt, von der Elbphilharmonie an die Highline gewissermassen.
Rückzugsort Südfrankreich
Zurück nach Luzern: Bald ist die Überbauung Brünighof zwischen Industrie- und Brünigstrasse bezugsbereit, ein 50-Millionen-Investitionsprojekt, das die erwähnte Erbengemeinschaft Gmür realisiert hat, in dessen Verwaltungsrat Peter Baumann sitzt, nicht mehr als Architekt, sondern als Berater für die verschiedenen Bauprojekte. Der passionierte Opernfan, der sich mit Tennisspielen fit hält, hat zusammen mit seiner Frau vor vier Jahren ein Haus, eine Mas, im Languedoc-Roussillon gekauft – entgegen seinen Vorsätzen: Kein Buch schreiben, kein Haus kaufen. Das Buch wird er wohl nicht schreiben, das Haus ist aber mehrmals im Jahr zur neuen Lieblingsdestination geworden, auch wenn er und Hanna nur mehr Nutzniesser sind und die Mas bereits der nächsten Generation gehört.
Vorerst steht jetzt ein grosses Geburtstagsfest an. 100 Weggefährten, Freunde und Familienangehörige hat er zum 80. ins National eingeladen. Richtig grosser Bahnhof für den Bahnhof-Architekten.