Die Pflegenden möchten nicht länger im Regen stehen. Mit der Spalieraktion forderten sie vor der Kantonsratssitzung bessere Arbeitsbedingungen, mehr Rechte am Arbeitsplatz und mehr Anerkennung, vor allem auch von der Politik.
Applaus genügt nicht! Wir müssen jetzt zahlen, was zählt!
Während der ersten Corona-Welle bekam das Pflegepersonal viel Applaus und Wertschätzung. Ungehört verhallten jedoch die Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen. Darauf machten Pflegende in der schweizweiten Protestwoche vom 26. bis 31. Oktober mit einer Spalieraktion vor der Kantonsratssitzung in Luzern aufmerksam.
Von Monika Fischer (Text und Bild)
Rund 25 Pflegefachpersonen standen mit weissen Arbeitskleidern und Schutzmasken im strömenden Regen vor der Messe Spalier vor der Kantonsratssitzung. «Gesundheit darf etwas kosten», stand auf einem der Kartons, «Personalmangel=gefährliche Pflege=Tod» auf einem anderen. «Wir verdienen MEHR», hiess es auf einem Plakat von einer Hebamme gehaltenen Plakat. Es waren durchwegs junge Frauen aus verschiedenen Bereichen des Gesundheitswesens. «Ich liebe meinen Beruf und möchte in der Pflege bleiben. Deshalb stehe ich hier und setze ich mich für bessere Arbeitsbedingungen ein», meinte Lara, die als Fachfrau Gesundheit (FaGe) in einem der Pflegeheime von Viva Luzern arbeitet. Sie wies auf den beträchtlichen Mehraufwand für Pflegende wegen des Besucherstopps hin und zeigte auf, dass bessere Arbeitsbedingungen für Pflegende auch den Bewohnerinnen und Bewohnern zugute kommen. «Die Wertschätzung der Bevölkerung für die Pflege ist gross, wie der Applaus gezeigt hat. Jetzt ist es an der Politik, Massnahmen zu ergreifen und die Arbeitsbedingungen so zu verbessern, dass die Leute in der Pflege bleiben», hielt sie mit Nachdruck fest.
Arbeit mit Menschen braucht Zeit und Geld
Drei Expertinnen in der Notfallpflege in verschiedenen Spitälern schilderten ihre Arbeitssituation: «Wir dürfen niemanden abweisen und müssen immer mehr Patientinnen und Patienten in immer kürzerer Zeit abarbeiten. Es kann nicht so weitergehen, dass wir mit immer neuen Anforderungen immer mehr Arbeit mit dem gleichen Personal und gleichem Lohn leisten müssen.» Im ohnehin ausgelasteten Spital kollabiere das System, wenn gleichzeitig bei ungenügenden Schutzmassnahmen auch noch Coronapatienten aufgenommen werden müssten. Da zudem unregelmässige Arbeitszeiten die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erschweren, sei es immer schwieriger, fähiges Personal zu finden. Für einen Teilnehmer, der aus Solidarität mit seiner Frau gekommen war, läuft das Gesundheitswesen seit Jahren in die falsche Richtung. Er betont, Pflege könne sich nicht an marktwirtschaftlichen Grundsätzen ausrichten: «Wer sich um Menschen kümmert, braucht Zeit und Geld.»
Folgen der Abbaupolitik
«Applaus allein reicht nicht. Wir müssen jetzt zahlen, was zählt.» Mit diesen Worten wies Kantonsrätin Sara Muff, auf die Bedeutung der Care-Arbeit für die Gesellschaft hin. Die dipl. Pflegefachfrau HF zeigte auf, wie die Pflege mit dem neuartigen Corona-Virus konfrontiert wurde, gleichzeitig den regulären Betrieb aufrechterhalten musste und mit einem Mangel an Schutzmaterialien konfrontiert war. Je nach Arbeitsort wurden zum Beispiel nur eine bis zwei Masken täglich zur Verfügung stellt. Die Pflege habe deswegen nicht reklamiert: «Wir haben unsere Verantwortung wahrgenommen. Tag für Tag standen wir auf, gingen zur Arbeit und wollten unseren Teil zur Besserung beitragen.» Doch nun stünden sie da, laut und solidarisch, mussten sie doch gerade durch die 1. Welle die Abbaupolitik der letzten Jahre am eigenen Leib erfahren wie selten. Es stosse gegen Arbeitsrecht, wenn Pflegende während des Lockdown nach Hause geschickt wurden, weil auf ihrer Station keine Arbeit da war und sie danach die daraus resultierenden Minusstunden selber wieder abarbeiten mussten.
Bedeutung der Care-Arbeit
Corona mache wieder einmal sichtbar, dass die gefährlichen und schlecht bezahlten Arbeiten, welche die Gesellschaft am Leben halten, vor allem durch Frauen ausgeübt werden. Rund 86% der Pflegefachpersonen, zwei Drittel der Detailhandelsangestellten und 92% der Kinderbetreuerinnen seien Frauen. «Wenn es um Lösungen geht, werden diese Bereiche vergessen, denn dort wird zuerst gespart.» Deshalb müsse der Care-Sektor ins Zentrum des Konjunkturprogrammes gestellt werden. «Care-Arbeit ist kein Luxusprodukt, sondern hat einen elementaren gesellschaftlichen Wert.» Es liege auf der Hand, dass dieser Sektor keinen Profit abwerfen müsse. Die Realität sehe anders aus, die Ökonomisierung im Spitalalltag schreite munter voran. Dies habe gravierenden Folgen, sinke doch mit jeder Abbaumassnahme die Sicherheit der Patientinnen.
Mit dem Slogan «Gemeinsam mit dem Gesundheitspersonal» forderte deshalb Sara Muff konkret:
- Mehr Rechte am Arbeitsplatz! Vor alle mehr Mitsprache und besseren Schutz.
- Bessere Arbeitsbedingungen! Umsetzung des Arbeitsrechts und Schluss mit Pflege à la Minute.
- Umkleidezeit ist Arbeitszeit! Endlich auch in der Zentralschweiz – ohne faule Tricks.
Die meisten Politikerinnen und Politiker eilten durch den Regen möglichst schnell in die Halle des Messeareals. Einige hielten kurz an und nahmen den Flyer mit den Forderungen der Angestellten im Gesundheitswesen mit. An der Protestwoche beteiligten sich neben der Gewerkschaft im Service Public (VPOD), dem Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und –männer (SBK) und der Gewerkschaft Syna die wichtigsten Personalverbände und Gewerkschaften der Schweiz. Sie hatten sich im August zum Bündnis Gesundheit zusammen getan, um gemeinsam auf nationaler Ebene zu mobilisieren. - 28.10.2020