„Es hat Leute hier, die haben Angst“
Ein Teil der Mieterinnen und Mieter der Alterssiedlung Guggi ist konsterniert und hat Angst. Die Bewohnerinnen und Bewohner an der Taubenhausstrasse 14/16 können kaum nachvollziehen, dass sie nur noch zwei bis drei Jahre in ihrer Wohnung bleiben können. Nachher soll abgerissen werden, sofern das Stadtparlament Ende Oktober der Vorlage zustimmt. „Zukunftsgerichtete Alterswohnungen“ sollen gebaut werden, heisst es im Bericht und Antrag an den Grossen Stadtrat. Mit dem Abbruch dürfte frühestens Mitte 2014 begonnen werden, sagt Beat Demarmels, Leiter der Abteilung Heime und Alterssiedlungen.
Die Alterssiedlung Guggi ist 1972 erstellt worden. 89 Alterswohnungen stehen zur Verfügung. Gut 60 Prozent sind 1- und 1 ½-Zimmerwohnungen, der Rest 2- und 2 ½-Zimmerwohnungen. Vor allem in den Häusern an der Taubenhausstrasse ist der Anteil der kleinen Wohnungen mit rund 75 Prozent sehr gross. Eine Anpassung des Wohnungsmix sei in den nächsten Jahren zwingend anzustreben, schreibt der Stadtrat. Sonst müssten Leerstände in Kauf genommen werden. Zudem bestehe in diesen Wohnungen ein Nachholbedarf an baulicher Erneuerung.
Was heisst nun „zukunftsgerichtete Alterswohnungen“? Beat Demarmels: „Zukunftsgerichtet meint grössere Wohnungen, da die kleinen 1 bis 1 ½-Zimmerwohnungen heute nicht mehr dem Bedürfnis älterer Alleinstehender entsprechen.“ Vielleicht brauche es auch Nebenräume für Betreuung und Serviceleistungen wie Beratung und Wellness, eventuell für ein Lädeli. Es bestehe noch kein Konzept.
In den Neubauten an der Taubenhausstrasse soll es vorwiegend 2 ½-Zimmerwohnungen geben, vielleicht auch einzelne 3 ½-Zimmerwohnungen. Die Mietpreise sollen nicht höher sein, als die heute üblichen Mieten für ähnlich grosse Wohnungen, sagt Beat Demarmels.
„In diesem Alter noch einmal zügeln?“
Beatrice und Albert Mattmann (Bild) wohnen seit drei Jahren an der Taubenhausstrasse 16, in einer schön gelegenen 2 ½-Zimmerdachwohnung, vorher während sieben Jahren an der Schlossstrasse, also ebenfalls in der Guggisiedlung. Beatrice Mattmann (80) kann sich nicht damit abfinden, dass sie in wenigen Jahren nicht mehr hier wohnen kann. „In diesem Alter noch einmal zügeln?“ Sie habe einen guten Arzt in der Sanacare-Praxis am Paulusplatz. Sie wolle nicht weg aus dem Quartier. Albert Mattmann (83) nimmts gelassener: „Ich warte jetzt einmal auf das, was hier kommt. Dann sehen wir weiter. Gut, die Wohnungen sind alt wie wir. Aber wegen uns müsste man nicht neu bauen.“
Alfred Steiger ist 90 Jahre alt und wohnt auch an der Taubenhausstrasse. Er hat lange im Tessin gelebt. Seine Sprache verrät es, ohne dass er es sagen muss. „Ma si, parlo il dialetto ticinese“, sagt er mit etwas Stolz. „Ich lasse es darauf abkommen und mache mir keine grossen Gedanken wegen diesen Bauplänen“, sagt er. Ich weiss ja nicht, ob ich dann nicht schon das endgültige Domizil gefunden habe.“ Resignation? „Nein, sicher nicht. Es nützt doch nichts, sich aufzuregen.“
Bei Trudi Wiget (75) tönt es anders: „Ich sehe nicht ein, warum man die gleich alten Häuser an der Schlossstrasse noch zehn Jahre stehen lassen will, während hier an der Taubenhausstrasse abgerissen wird. Das kann man doch zusammen machen.“ Man sollte nicht alt werden, sagt Trudi Wiget. Und jene, die sich für etwas wehrten, habe man ohnehin nicht gern. Sie will jetzt ein Jahr zuwarten und dann sehen, was sich machen lässt. Es sei ja nicht sicher, ob das alles politisch durchgehe. „Es ist heute wegen den hohen Zinsen sehr schwierig, auf dem Wohnungsmarkt etwas zu finden. Es hat Leute hier, die haben wirklich Angst für die Zukunft.“
René Regenass