Für einmal nicht hinter der Kamera, sondern vor der Linse: Suzie Maeder.
Suzie Maeder: «Der Zufall spielte immer mit»
Gleich nach der Matura reiste sie nach London – und blieb. Suzie Maeder wurde eine bekannte Fotografin im englischen Musikbetrieb. Jetzt lebt sie wieder in Luzern.
Von Hans Beat Achermann (Text) und Joseph Schmidiger (Bild)
Als Erstes gibts ein kleines, würfelförmiges Geschenk: das Seebad-Memory. Fotografische Impressionen von Suzie Maeder aus der Luzerner Seebadi, aufgenommen mit dem iPhone. Vom Schwimmen im Seebad war die 74-Jährige gerade zurückgekommen, Wassertemperatur 13 Grad, Lufttemperatur etwa gleich. Seit Suzie Maeder nach 50 Jahren in London wieder in Luzern wohnt, macht sie fast täglich sommers und winters einen «Schwumm» im See.
Jetzt sitzen wir im lichtdurchfluteten Wohnzimmer in der Terrassenwohnung an der Haldenstrasse, nur See und Berge und der weite, dunstige Himmel sind im Blickfeld. Das Licht und der Blick: zwei Begriffe, die im Leben der Fotografin zentral sind. Das wird schon beim Eintritt in die Wohnung sichtbar: Eine Reihe Musikerporträts hängt im Korridor, schwarzweiss, Licht- und Schattenspiele, die Stars der letzten Jahrzehnte sind dabei, Isaac Stern, Arthur Rubinstein, Zubin Mehta, Daniel Barenboim, Claudio Abbado und viele mehr, alle Fotos mit Widmungen versehen: «To Suzie with Love» oder ähnlich. Jahrzehntelang war sie quasi Hoffotografin des London Symphony Orchestra, konnte bei den Proben ein- und ausgehen, lud die Stars für Shootings in ihr Atelier im Stadtteil Hammersmith ein. Entstanden sind so zigtausende Bilder, Porträts in einem weiteren Sinn, denn der Fotografin ging es immer darum, Menschen in ihrer Einzigartigkeit, in ihrem Wesen zu zeigen: «Fotografie heisst für mich nicht einfach abbilden, sondern das Bild ist immer eine Übersetzung.» Das bedeutete auch: Die Abgebildeten mussten sich Zeit nehmen, zwei Stunden im Minimum. Ein Bild entsteht zwar in einem Sekundenbruchteil, doch die Inszenierung ist aufwändig, das Schaffen einer Vertrauensbasis genauso. Hinter jedem Bild steckt eine Menge Arbeit, auch Denkarbeit.
Von Perlen nach London
Sie wusste schon mit 16, dass sie Fotografin werden wollte, war schon damals fasziniert von Licht- und Schattenspielen in der Natur. Erste Bilder entstanden an der Reuss mit einer Kodak-Brownie-Kamera, eines dieser schwarzen Kästchen. Suzie Maeder ist in Perlen aufgewachsen, machte die Matura an der Kantonsschule Alpenquai und ging dann gleich nach London. Beim Geldwechseln in einer Schweizer Bank im Swiss Center erkundigte sie sich nach einer Ausbildungsmöglichkeit zur Fotografin. Zufällig war gerade ein Schweizer Botschaftsangestellter als Kunde in der Bank und dieser wusste von einem Schweizer, der eine Fotoausbildung am Ealing Technical College machte. Sie bewarb sich und wurde aufgenommen, nach dem Bachelor absolvierte sie noch eine Masterausbildung am Royal College of Art. Über die Bekanntschaft mit einer anderen gebürtigen Luzernerin, Ursula Jones-Strebi, kam sie zu ersten Aufträgen für das English Chamber Orchestra.
«Vieles ist mir buchstäblich zugefallen», sagt Suzie Maeder, doch der Zufall findet einen nur, wenn man auch offen und neugierig ist. Das ist sie bis heute geblieben, auch wenn sie nur noch wenig fotografiert, dafür öfters mit dem iPhone, wie die erwähnten Memory-Bilder. «Die Anfänge waren hart», erzählt sie, «in den Orchestern herrschte eine Machokultur.» Die Luzernerin liess sich nicht beeindrucken, blieb sich treu, machte weder menschlich noch fotografisch Kompromisse. Das zahlte sich aus, wenn auch selten in Pfund oder Dollars. «Ich lebte eigentlich mein Leben lang von der Hand in den Mund», blickt sie zurück. Trotz Aufträgen für grosse Plattenfirmen, für die sie Dutzende Covers fotografieren konnte. Die Honorare waren bescheiden. Sie liebte die Atmosphäre in der Dunkelkammer, das Entwickeln des Films, das Vergrössern, das Herstellen eines Papierabzugs. Oftmals musste sie 50-mal dasselbe Bild vergrössern, für Musikagenturen zur Promotion der Künstler. Zur Arbeit lief klassische Musik oder sie lauschte auf BBC englische Hörspiele. Sie hatte bereits in den 1970er-Jahren das Glück gehabt, sehr günstig ein Terrassenhaus kaufen zu können, in dem sie wohnen und arbeiten konnte. «Rückblickend waren es goldene Jahre», bilanziert sie. Doch weil nicht alles ewig glänzt, was Gold ist, kam der Zeitpunkt, aufzuhören. Die Digitalisierung erhöhte das Tempo und den Stress, erforderte neue Kompetenzen, auch Suzie kam nicht darum herum: «Es war eine Shotgun marriage», eine Zwangsheirat. Ab und zu liegt ihr der englische Ausdruck immer noch näher als der deutsche Begriff.
Spielen mit Instrumenten
Sie wandte sich mehr freien Arbeiten zu, reiste viel, vor allem nach Ägypten, in die libysche Wüste, auch nach Bhutan, Griechenland, Galerien stellten ihre Bilder aus. Auch ein Buch mit abstrakten Bildern mit dem Titel «Seeing Music» ist entstanden, schwarzweisse Aufnahmen von Musikinstrumenten oder Teilen davon, sehr spielerisch umgesetzt. «Das ist der Homo ludens in mir, das spielende und experimentierende Kind», interpretiert die Fotografin. Auch eine Theologin und Anthropologin steckt in ihr. Seit ihrer Jugend interessiert sie sich für Ägyptologie und die Kulturen und Religionen im Vorderen Orient. Viele Bücher zeugen davon.
«2015, nach der Abdankungsfeier für den zu früh verstorbenen Fotografenfreund Georg Anderhub, wusste ich: That’s it.» Zurück in London fing sie an, den Umzug in die Schweiz zu planen: «An jedem Tag musste ein Gegenstand weg», erzählt sie. Mit 70 machte sie noch eine grössere Reise in die Antarktis. Doch es dauerte nach dem Entschluss fünf Jahre, bis sie das Haus in London geräumt hatte und verkaufen konnte und in Luzern eine Wohnung fand. Das Londoner Haus hatte einen genügend grossen Wertzuwachs erfahren, dass der Erlös jetzt neben einer bescheidenen AHV-Rente ihren Lebensunterhalt finanziert.
Ein persönlicher Brexit
Am 31. Januar 2020 war es so weit, am Tag des Brexits flog sie mit einem One Way Ticket in der Business Class nach Zürich, trank ein Glas Champagner und liess London unter bzw. hinter sich. Mitgekommen aus London ist das Archiv, das fotografische Lebenswerk, säuberlich aufgearbeitet, in Kartonschachteln abgelegt, akribisch beschriftet. «Was war, ist vorbei, und was einst mit dem Nachlass geschieht, beschäftigt mich nicht gross», resümiert Suzie Maeder und meint: Es ist gut so, wie es ist – und es wird schon gut kommen. Vielleicht kommt auch hier irgendwann mal wieder der Zufall zum Zug. «Die Berufsfotografin Suzie ist in London geblieben», sagt sie. Das Kapitel ist abgeschlossen, die Erinnerungen sind präsent, im Kopf und in Büchern, unter anderen in einem Einzelexemplar mit den «Great Musicians». Darin ein Bild mit Michail Gorbatschow, seiner Frau Raissa und dem Startenor Luciano Pavarotti oder ein Bild mit den Musikern Daniel Barenboim, Arthur Rubinstein und Zubin Mehta am Diskutieren: «Sie sprechen nicht über Musik, sondern darüber, wohin sie essen gehen sollen», erzählt Suzie lachend.
Wieder gefunden in Luzern hat sie neben dem See und vielen alten Freundinnen und Freunden auch wieder die Langsamkeit. Covid beschleunigte die Langsamkeit, wenn dieses sprachliche Paradox erlaubt sei. London war ihr zu hektisch, zu gross geworden, sie erlebte es sogar dieses Jahr als heruntergekommen. In ihrer Luzerner Terrassenwohnung kann sie wieder in Ruhe lesen, gelegentlich alte oder vergessene Bilder aus dem Archiv bearbeiten, Spaziergänge oder Schifffahrten unternehmen, Luzern und die Schweiz wiederentdecken. Und dabei staunen über die permanent knipsenden Touristinnen und Touristen, über die Selfie-Kultur und den Instagram-Wahnsinn. «Mir scheint, dass die Menschen daran sind, das Schauen zu verlernen, das verweilende Hinschauen.» Suzie hat es nicht verlernt. Die Begeisterung für ihren Beruf, die Neugier, die Lebendigkeit hat sie bewahrt in jedem Augenblick der Begegnung, auch unserer.
15. November 2022 – hansbeat.achermann@luzern60plus.ch
Webseite mit Arbeiten von Suzie Maeder