BildGeschichte 10/16
Lothar hat mich aufgewühlt
Von René Regenass
Das Bild fährt heute noch ein. Und die Wirklichkeit, die fotografisch gar nicht zu erfassen gewesen ist, machte mich sprachlos und klein. Es war Lothar, das Orkantief, das am 26. Dezember 1999 über die Schweiz zog und mehrere Menschenleben forderte. Der Sturm kam vom Jura her und überquerte das Mittelland, die Zentralschweiz sowie die Nordostschweiz.
Mein Bild entstand zwischen Holderchäppeli und Eigenthal, zwei Tage nach dem verheerenden Wetterereignis. Ich bin Orientierungsläufer. Der Wald gehört zu mir. Wenn das Wort heute nicht belastet wäre, würde ich fast von Heimat sprechen. Zu Hunderten lagen die Bäume quer. Die wenigen, die stand hielten, waren in der Minderzahl, ragten kahl und verloren in die Höhe – ein trauriges Ansehen.
In diesem Waldteil südlich der Eigenthalstrasse habe ich vor vielen Jahren – vor Lothar – an einem Wettkampf teilgenommen, mit einer OL-Karte, im Massstab 1:10‘000 aufgenommen und gezeichnet. Diese Erinnerung gab dem Erlebnis noch ein anderes Gesicht. Ich weiss noch, dass ich zuerst versuchte, quer über die Bäume zu steigen, weiter hinauf, um zu sehen, ob denn alles so aussehe. Aussichtslos! Da werden wir nie mehr laufen, war einer der Gedanken.
Wenn ich Lothar lese oder höre, taucht noch ein anders Gesicht auf, ein menschliches. Bruno Tantanini war auch Orientierungsläufer, dazu ein erfahrener Kartenaufnehmer. Er lebte im Grossraum Zürich. An jenem 26. Dezember nachmittags, sagte er zu Hause, er gehe noch etwas trainieren im nahen Wald. Starker Wind war zwar angesagt, aber von einem Sturm von diesem Ausmass hörte man nichts. Bruno kam nicht mehr zurück. Stunden später fand man ihm im Wald, von einem stürzenden Baum getroffen.