Was kann das Leben sinnvoll machen?
Ein hilfreiches Buch für schwierige Fragen im Umfeld von Selbstbestimmung und Lebensende - eine Buchbesprechung.
Leben, Tod und Selbstbestimmung“ - das ist der Titel des neuen Buches von Denise Battaglia. Sie ist Philosophin und Autorin und wirkt am Institut Dialog Ethik in Zürich. Ethische Fragen am Lebensende sind ihr Thema. Der Schweizerische Beobachter (Beobachter Edition) ist Herausgeber des aktuellen Werkes, das sich bestimmenden gesellschaftlichen Fragen dieser Zeit annimmt, offen und vorurteilslos. Es ist eine breite Dokumentation, welche die Gefühlsebene nicht ausschliesst.
Erfahrungswissen hat einen grossen Stellenwert im wertvollen Buch. Dazu kommen Angaben aus Studien und Dokumentationen, zum Beispiel über die Bedeutung des Arzt-Patienten-Gesprächs. Jeder Arzt habe die Pflicht, den Patienten über Vor- und Nachteile von medizinischen Massnahmen aufzuklären, damit ein selbstbestimmter Entscheid möglich werde, schreibt Denise Battaglia. Und weiter: „Die Ärzte und Ärztinnen überschätzen häufig den Nutzen und die Vorteile einer Therapie.“ Umstritten sind zum Beispiel der PSA-Test zur Abklärung von Prostata-Krebs oder die Mammografie zur Abklärung von Brustkrebs. Aufklärend in diesem Kapitel ist zum Beispiel der Hinweis auf eine Nationalfonds-Studie „Lebensende“. Ärzte sagten darin aus, dass sie aktiv versuchten, Patientinnen von einer Therapie oder der Unterlassung einer Therapie zu überzeugen. Dabei hänge die Entscheidung von Patienten stark davon ab, wie Ärzte über Chancen und Risiken informierten, schreiben die Studienautoren.
Hilfreich und lesenswert sind die kontextuellen Zeilen, Tipps, Infos, Kurzinterviews in jedem Kapitel. Zum Beispiel die Aussagen zur Lebensqualität, geschrieben von Daniel Weder, CEO von Skyguide: „Was ein gutes Leben ausmacht? Eine liebe Familie und Freunde; Gesundheit und physische Sicherheit; materielle Sicherheit und deren Hinterfragung; geben können und nicht im Mittelpunkt stehen; staunen können und sich als kleiner Teil des Universums sehen; andere verstehen können und respektieren; Genügsamkeit und Dankbarkeit für das, was ich habe.“
Sich Zeit nehmen für die Patientenverfügung
Im Kapitel “Selbstbestimmung – auch über den Tod hinaus“ werden Werte und Bedeutung der Patientenverfügung beschrieben, hilfreich, klar und nüchtern, und trotzdem rücksichtsvoll für allenfalls Betroffene. „Nehmen Sie sich Zeit mit der Erstellung einer Patientenverfügung“ heisst es da. „Und lassen Sie sich vor dem Erstellen von ihrem Hausarzt oder einer andern Fachperson beraten.“
Weiter werden Kriterien für die Suizidbeihilfe aufgelistet. Aufschlussreich sind die Ergebnisse einer Studie der SAMW (Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften), in welcher Ärzte und Ärztinnen zu ihrer Einstellung befragt wurden. Von 1318 antwortenden Frauen und Männer der Ärzteschaft können sich knapp die Hälfte Situationen vorstellen, in denen sie bereit wären, Suizidhilfe zu leisten. Das heisst, die Mehrheit kann sich das nicht vorstellen. Neben kontroversen Haltungen von Fachpersonen zur Suizidbeihilfe geht das Buch auch auf Umstände und Rahmenbedingungen bei Demenz und psychischen Krankheiten ein. Schon 2006 hat das Bundesgericht entschieden, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht generell von der Suizidbeihilfe ausgeschlossen werden dürfen. Zur Feststellung der Urteilsfähigkeit sei ein vertieftes psychiatrisches Fachgutachten notwendig.
„Wenn das Ende naht“, heisst das letzte Kapitel, in dem die Möglichkeiten und Hilfen durch Palliativ Care ausführlich beschrieben werden. Schliesslich geht die Autorin auch auf das Sterbefasten ein, auf den freiwilligen Verzicht zur Aufnahme von Nahrung und Flüssigkeit.
Ins Leben zurück gefunden
Neben dem Altern und dem Sterben widmet sich das Buch auch dem Sinn des Lebens, mit zahlreichen aufbauenden Beiträgen und Aussagen. Beispiel dafür sind drei erzählende Texte von Nadine Koller (drei Monate Wachkoma nach Herzstillstand), des ehemaligen Skirennfahrers Silvano Beltrametti (querschnittgelähmt nach Skiunfall) und von Gabriel Hofmann, der nach einem Burn-out beim Schauspielern den Zugang zu den Gefühlen wieder gefunden hat. Sie alle haben nach Schicksalsschlägen ins Leben zurückgefunden.
Aufbauend, mit einem guten Ansatz kommt auch der erste Beitrag im Buch daher. „Menschen, die an den Tod denken, sind glücklicher, humorvoller und grosszügiger als jene, die dies nicht tun“, schreibt Denise Battaglia. Sie stützt die Aussage mit neuen Studien, die zeigen, „dass der Gedanke an den Tod den Menschen hilft, ihrem Leben Sinn zu verleihen“. „Um meinem Leben Sinn zu geben, muss ich tätig werden, muss ich die Fähigkeiten mit denen ich ausgestattet bin, nutzen und aktivieren. Ein Rezept dazu, wie man das anstellen soll, gebe es nicht, sagt der deutsche Philosoph Ernst Tugendhat. „Das ist eine Frage, die sich jedem einzelnen stellt.“
„Dieses Buch möchte Sie dazu einladen, Ihren Alltag zu unterbrechen und die Frage, was Ihr Leben sinnvoll machen könnte, zu ergründen“, schreibt Denise Battaglia im Vorwort. Das Buch eignet sich gut dafür.
5. Dezember 2016 – re.
„Leben, Tod und Selbstbestimmung“, Beobachter-Edition, 39 Franken.